Werden wir die Kurve kratzen?

Wir leben in wahrlich turbulenten Zeiten und es ist für jeden von uns nicht einfach, zu erkennen, was die Wahrheit ist und was nicht. Seit Beginn dieses, wertfrei formulierten, Abenteuers versuche ich, die goldene Mitte zu finden und in der Mitte zu bleiben, das heißt, ich gebe mein Bestes, mir immer alle Varianten und Seiten anzuhören und anzusehen und möglichst neutral zu sein und zu bleiben.

Natürlich fällt mir selbst auf (so reflektiert und ehrlich bin ich wohl), dass es mir nicht an jedem Tag und zu jeder Stunde gleich gut gelingt. Ich beobachte, dass es mich immer wieder mehr auf die eine als auf die andere Seite zieht (wenn man das, was gerade geschieht, wieder als Seiten definieren möchte) und gerade dann, wenn ich es wieder bewusst erkenne, suche ich gezielt nach Informationen im Internet oder rede mit Menschen, die sich klar auf der, sozusagen, gegenüberliegenden, Seite positioniert haben. Für mich, als der Mensch, der ich bin, ist das essenziell und ich glaube, dass es das für viele Menschen ist, doch die meisten reflektieren ihr eigenes Sein und Tun nicht. Sie sind nicht bereit, die Seite zu wechseln oder es wenigstens zu versuchen. Bildlich gesprochen gehen diese Menschen immer schnurstracks auf der einen Straßenseite entlang, ganz egal, wie sich der Weg gestaltet und wie schwierig und kräftezehrend das Vorankommen auch sein mag. Dabei achten sie auch nicht darauf, ihren Blick schweifen zu lassen, wahrzunehmen, was um sie herum noch ist oder sein könnte und ob ein Wechsel auf die andere Straßenseite das Vorankommen nicht doch erleichtern würde oder vielleicht sogar unbeschwerlich wäre. Nein, beharrlich setzen sie ihren Weg fort, was auch immer kommen möge.

Ich empfinde das Rundherumblicken, das Austauschen von Wissen mit anderen Menschen und das Einholen verschiedener Informationen als bereichernd. Ja, ich gebe zu, dass es nicht immer einfach ist, alles zu nehmen, was der eine oder andere Mensch vermittelt und dabei entdecke ich natürlich (schließlich bin ich auch nur, entsprechend der Welt, in der ich aufwachsen durfte, ein konditionierter und geprägter Mensch wie du), dass ich manches im ersten Moment nicht so gut vertrage oder nehmen kann wie anderes, jeder von uns hat eben seine Muster und sein Weltbild. Doch tatsächlich bemühe ich mich um ein Gleichgewicht, denn ich habe das Gefühl, dass es das ist, was wir dringend benötigen, um gemeinsam diese herausfordernde und kräftezehrende Zeit gütlich zu überstehen.

Wünschen würde ich mir, dass ich das, was ich bin und wie ich agiere, mir auch von meinen Mitmenschen erwarten könnte, nichts Geringes als das, aber auch nicht mehr als das. Vor allem von Netzwerken, die Inhalte an Menschen weitergeben und die Newsletter dazu nutzen, um jene, die sich ihrem Netzwerk angeschlossen haben, zu informieren. Die Spaltung und Entzweiung der Gesellschaft haben schon mehr als beachtlich funktioniert und leider musste ich heute wieder feststellen, dass dies gerade auch von Newsletterverteilern (von den herkömmlichen Massenmedien möchte ich gar nicht erst schreiben) noch immer vorangetrieben wird.

Von einem dieser Netzwerke, dem ich lange Zeit zugehörig war, habe ich mich heute endgültig getrennt (und deren heutiger Newsletter hat mich zum Schreiben dieses Artikels animiert). Schon in den vergangenen Wochen, wenn ich einen Newsletter von jenen erhalten hatte, hat es mir immer die Kehle zugeschnürt. Von Mal zu Mal wurden die Inhalte aggressiver, propagandistischer und übergriffiger. Ein bestimmte Menschengruppe wurde als böse und verachtenswert dargestellt, es wurden Seminare propagiert, die dabei helfen sollen, diese Menschen zu diffamieren, ihr Tun und Sein im Keim zu ersticken, im Grunde ihnen den Garaus zu machen. Immer, wenn ich in den vergangenen Wochen von diesem Netzwerk einen Newsletter erhielt und ihn las, liefen vor meinem geistigen Auge stets dieselben Bilder ab: Ich sah die Bücherverbrennungen des vergangenen Jahrzehnts, ich sah, wie Menschen an Prangern angebunden auf dem Marktplatz von ihren Mitmenschen bespuckt und getreten wurden, ich sah Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrennen, ich sah Menschen am Galgen baumeln, während die Menschenmasse, die dem menschenverachtenden Treiben beiwohnten, sich über denjenen und diejenige lustig machten und Beifall klatschten.

Gleichzeitig aber schreibt eben ein Mensch aus diesem Netzwerk in seinem heutigen Newsletter darüber, wie schockiert er ist, dass ihm seit geraumer Zeit nur Hass und Ablehnung entgegengebracht werden. Er erwähnt weiter, dass er nicht verstehen könne, warum Menschen ihm so übel mitspielen und ihn derart attackieren würden, um dann gleich mit einer Kampfansage fortzufahren. Echt jetzt? Den Spruch „Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück“ kennt man doch.

Wie auch immer! Ich stelle mir viele Fragen und einige davon möchte ich heute mit Euch teilen:

  • Ist es wirklich das, was wir wollen?
  • Ist es wirklich das, wofür wir leben?
  • Kann es denn so schwer sein, sich einzugestehen, dass man dieses Weltbild und jenes Wissen hat und ein anderer Mensch ein anderes?
  • Haben wir so viel Angst vor anderen Menschen und dessen Wissen oder Meinung, dass wir bevorzugen, ihn oder sie, sprichwörtlich, zur Sau zu machen und sie vernichten zu wollen?
  • Ist es wirklich das, was Menschsein ausmacht?
  • Ist es wirklich das, was unser Herz uns flüstert oder sind es uralte, eingefahrene Gewohnheiten, Muster und Überzeugungen, die uns antreiben und uns, so gesehen, zu menschenverachtenden, hasserfüllten, verurteilenden Menschen macht?
  • Wie kann eine Welt in Zukunft aussehen, wenn wir so weitermachen?
  • Stellen wir uns unser Zusammenleben so vor, dass jeder Mensch, der nicht dem, was ich denke, glaube oder bin, entspricht, lieber diffamiere, gegen ihn hetze und, im schlimmsten Fall, zerstöre, ihm oder ihr gar den Tod wünsche?
  • Ist uns eigentlich bewusst, dass, wenn man die letzte Frage mit „Ja, ich möchte lieber, dass der, der nicht so denkt und lebt, wie ich, dieses Dasein gar nicht führt“ beantwortet, wir uns dadurch selbst zerstören und die Menschheit ausrotten?

Du meinst, die letzte Aussage wäre zu übertrieben?

Nun, aus diversen Diskussionen, die zu keinem Ergebnis führen und dann hart abgebrochen werden (Facebook ist dafür eine brilliante Spielwiese), kennt man doch Aussagen, wie „Ich wünschte, du bekämst Covid und würdest daran zugrunde gehen“, oder „Wenn du dich nicht impfen lässt, dann stirbst du eben, besser früher als später“, oder „Ja lass dich doch impfen und krepier an den Nebenwirkungen“, oder „Wenn du schon nicht Covid bekommst, dann stirb wenigstens an sonst einer schlimmen Krankheit, weil so unverantwortlich wie du bist“, usw.

Kein Mensch denkt und lebt wie der andere. Das war noch nie so und das wird mit Bestimmtheit auch nie so sein. Doch, wenn ich wünschte, dass es die nicht mehr gäbe, die nicht so denken und tun wie ich, dann wird es uns bald tatsächlich nicht mehr geben, denn jeder einzelne Mensch denkt nicht und tut nicht so wie ich. Klingt logisch und nachvollziehbar, oder?

Ich persönlich finde es schade und beschämend für die menschliche Rasse, dass es nicht möglich ist, einen Konsens zu finden. Es gibt nicht nur die eine oder die andere Seite, es gibt nicht nur das Gute und das Böse. Es gibt viele Facetten des Seins und jeden Menschen dort stehen lassen zu können, wo er steht, ist eine Gabe und eine Tugend, die leider viele Menschen vermissen lassen. Das stimmt mich zutiefst traurig.

Zumindest ich versuche, mich nicht aus meiner Mitte reißen lassen und das zu leben, worum ich bitte: Jeden Menschen dort stehen zu lassen, wo er steht und ihn mit all seinen guten und bösen Seiten (wenn man das jetzt wieder polar darstellen möchte), all seinen positiven und negativen Gefühlen, all seinen Freuden und Ängsten zu akzeptieren. Ich, für meinen Teil, werde weiterhin mein mir Bestmöglichstes geben, alle Seiten beleuchten, mir vieles anhören, manches nehmen, anderes liegenlassen, manches hinterfragen und überdenken und einiges schlichtweg auch nur akzeptieren oder tolerieren.

Das ist es, was für mich das Menschsein ausmacht, das ist es, was ich bin und immer sein möchte: Ein offener, ehrlicher und authentisch lebender Mensch, der dankbar und wertschätzend sein Dasein im Wirrwarr des Menschseins lebt und anerkennt, dass jeder Mensch, so wie er selbst, angesichts dessen, was geschieht, von Ängsten gebeutelt und in die Untiefen des eigenen menschlichen Abgrunds blickend, ist, wie er ist und sein Weltbild vertreten darf, ohne angeprangert, denunziert, angeklagt oder gar – sinnbildlich oder manchmal leider tatsächlich real – zum Tode verurteilt zu werden.

Ich wünsche uns allen die tiefe Einsicht und Erkenntnis, dass wir das, was wir vehement nicht wollen, eben genau deswegen schüren und in die Welt bringen und eben exakt aus diesem Grund offener aufeinander zugehen und füreinander da sein sollten.

Das Für hatte schon immer mehr Kraft als das Gegen, mitfühlende Intelligenz ist eine Gabe, die jeder Mensch besitzt. Lasst sie uns leben, für dich, für mich, für uns und unsere wundervolle Welt, anderenfalls zerstören wir uns selbst und wenn das so sein soll, dann wird es so sein. Doch ich hoffe nicht, denn auch, wenn ich an schlechten Tagen mitunter darüber nachdenke, diesen Planeten durch eigene Hand zu verlassen, so bin und lebe ich an den meisten Tagen gerne hier und hoffe, dies noch viele Jahre gesund, glücklich und in Frieden tun zu dürfen.